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Deutschland, einig Hinterland
(von Andreas Borcholte, spiegel.de)
Am vergangenen Dienstag hatte Casper eigentlich schon alles erreicht. Der Hashtag #catchcasper2 stand stundenlang auf dem ersten Rang der Deutschland-Trends bei Twitter, noch vor #btw13, dem Kürzel für die Bundestagswahl, in deren Nachbeben am selben Tag mehrere Spitzenpolitiker ihren Rücktritt verkündeten. Egal. Caspers clevere virtuelle Schnitzeljagd, bei der es um Ort, Zeit und vor allem Zugang zu seinem "Geheim"-Konzert beim Hamburger Reeperbahn-Festival ging, war mächtiger.
An diesem Freitag, wenige Tage nach dem 31. Geburtstag des Rappers aus Ostwestfalen, erscheint sein viertes Album "Hinterland". Schon jetzt dürfte als gesichert gelten, dass zeitgleich erscheinende Alben von US-Schwergewichten wie Justin Timberlake und Drake gegen diese Platte keine Chance haben werden, den Spitzenplatz der deutschen Charts zu erobern. Vor zwei Jahren hatte Casper mit seinem Debüt "XOXO", man kann es kaum anders sagen, einen Nerv getroffen: Ein seltsames Hybrid aus Elektro-Beats und Indierock-Geschrummel klapperte und waberte um eloquente, zerquälte Coming-of-Age-Geschichten herum, die Casper mit markant-heiserem Sprechgesang vortrug.
Intelligent, poetisch, schwermütig, erdschwer - nie zuvor schürfte deutschsprachiger HipHop so nah am deutschen Grundgefühl. Auf Konzerten gab sich der hipsterbärtige Schlaks als mitreißender, armwedelnder, physisch präsenter Entertainer. Die "taz" brachte Caspers Erfolgsgeheimnis so auf den Punkt: "Negative Gedanken wandeln sich durch energiegeladene Musik zu positiv kanalisierten Gefühlen." Die Last des Lebens abwerfen, hirnlos herumtollen, sich im Wohlgefühl baden und auflösen - darauf kann sich der vergrübelte, sorgenverbuckelte Deutsche einigen.
An diesen kathartischen Duktus knüpft auch "Hinterland" an. Schon das Covermotiv verheißt Erlösung mit dem Bild eines Priesters, der eine junge Frau in einem Fluss tauft. Im Videoclip zur Single "Im Ascheregen" kämpft sich Casper durch ein Urwald-Dickicht, während im Text davon die Rede ist, dass die Stadt "brennen, brennen, brennen" muss. "Ein Drittel Heizöl, zwei Drittel Benzin/ Augen und Herzen sind Dynamit/ Ein Drittel Heizöl, zwei Drittel Benzin/ Müde mit 'nem Plan, mit 'nem Ziel", reimt der ehemalige Hardcore-Sänger Casper und zitiert damit die Hamburger Punkband Slime und ihre berüchtigte Anarcho-Hymne "Bullenschweine".
Das klingt umstürzlerisch, doch schon im nächsten Song stellt sich heraus, dass die Revolution bei Casper eine Rolle rückwärts ist, eine Verkapselung in sepiafarbene Seligkeit, die den Zeitgeist aktuell so prägt: "So müde von der Stadt, die nie schläft", ist er und sehnt sich nach jenem titelgebenden "Hinterland", wo "jeder Tag aus Warten besteht/ und die Zeit scheinbar nie vergeht" und "Gedanken im Wind verwehen". So findet sich also auch bei Casper der Rückzug ins beschaulich Rurale.
Alles wird gut
Oder am besten gleich zurück ins Kinderzimmer. "Wir wollen nur spielen", heißt es folgerichtig im Refrain von "Alles endet (aber nie die Musik)". Danach, in "Nach der Demo ging's bergab", verhöhnt er das politische Engagement deutscher Popmusik der letzten fünf Jahrzehnte, von Ton Steine Scherben bis Die Sterne, als "Mixtape, bei dem kein Song zu dem anderen passt".
Nach diesen vier Songs ist dann auch schon Schluss mit diskursiven Stacheln: "20qm" ist eine Herschmerzballade, "Lux Lisbon" ein weiterer Wehmutsgesang, elegisch unterstützt von Editors-Heuler Tom Smith, und auch "Ariel" zieht sich ins Private zurück, enthält aber die vielleicht wichtigste Textzeile des Albums: "Am Ende wird alles gut/ Und wenn's nicht gut ist, dann ist es verdammt noch mal nicht das Ende."
Dieser trotzige Optimismus ist auf unheimliche Weise ziemlich nah bei der soeben zum dritten Mal gewählten "Mutti"-Kanzlerin Merkel, die ihr nach Nestwärme verlangendes Volk mit Zuspruch und Beruhigungsrhetorik ("Wir haben gemeinsam schon viel erreicht") beschwichtigt.
So findet auch Casper, der trotz Nummer-eins-Album und Popstar-Ruhm in einer Berliner WG wohnt, gerade alles "ganz schön okay", wie er im gleichnamigen Song postuliert: "Wir brauchen nicht viel, nur Fanta im Pappbecher" - süße Brause statt bitterer Realität.
Fairerweise muss man sagen, dass es Casper mit "Hinterland" natürlich nicht um eine Bestandaufnahme deutscher Befindlichkeit ging, sondern um seine eigene Gemütslage. Die Songs beziehen sich auf die Suche nach seinen Wurzeln (bürgerlich heißt Casper Benjamin Griffey und verbrachte seine Kindheit in den USA) sowie die Verarbeitung und Feier seines enormen Erfolgs ("Ganz schön ok", "Jambalaya").
Die Musik dazu hat sich radikal verändert, sie wurde von den Indiepop-Größen Konstantin Gropper (Get Well Soon) und Markus Ganter (Sizarr) produziert und klingt, mit Bläsern und Piano-Melodien, orchestraler opulenter und gewichtiger als das nervöse "XOXO". Vom HipHop ist nicht viel geblieben, Casper selbst, sagte er im Interview mit der "Berliner Zeitung", sieht sich selbst inzwischen eher als Singer/Songwriter, der die kanadische Pathos-Rockband Arcade Fire verehrt, Bruce Springsteen liebt und sich neue Genres und Stile erobern will. Das gipfelt in dem burlesk schunkelnden Stück "La Rue Morgue", das auf Tom Waits' grantelige Gotik abzielt, aber eher mit Pete Doherty im Pub landet.
Geschenkt. "Hinterland" ist ein sehr gutes und gereiftes Pop-Album voller Kraft und Hingabe. Es bietet eine neue Facette eines Künstlers, der noch lange nicht an die Grenzen seines Talents gestoßen ist und seine Popularität nicht zuletzt auch der entwaffnenden Ehrlichkeit und Unmittelbarkeit seiner Texte verdankt. Das kämpferische "Anti alles für immer" des dunkel funkelnden Debüts ist zunächst dem weich leuchtenden "Alles ist gut. Anders, aber gut" gewichen. Die Kanten sind runder. Und damit bleibt Casper im perfekten Einklang mit der deutschen Seele.
Quelle: http://www.spiegel.de/kultur/musik/neues-album-von-casper-deutschland-einig-hinterland-a-924492.html
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